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Jakob Krämer

Jakob Krämer wurde am 9. November 1905 in Worms geboren. Er und seine beiden Brüder wurden evangelisch erzogen. Wie sein Vater erlernte er den Beruf des Schreiners. Am 29. April 1928 übernahm er gemeinsam mit seinem Bruder Fritz den väterlichen Betrieb in der Dreihornmühlgasse 4 in Worms.1

In dieser Zeit lernte er die Bibelforscher (ab 1931: Zeugen Jehovas) kennen und ließ sich Ende 1930 als Bibelforscher taufen.2 1932 trennte er sich geschäftlich von seinem Bruder. Wegen seiner abweichenden religiösen Überzeugung entstanden – besonders nach der „Machtergreifung“ Hitlers – Spannungen in der Familie. Aus den Anträgen zur Wiedergutmachung gehen Einzelheiten hervor: Seine Mutter und seine beiden Brüder waren „nazistisch gesinnt und haben alles getan, um ihn unmöglich zu machen“.3 Im August 1933 wurde er gewaltsam aus Geschäft und Wohnung entfernt. Eine Eidesstattliche Erklärung von 1950 zu diesem Vorgang besagt: „Durch die nationale Erhebung wurde der Unterzeichnete von seinem Bruder [...] aus dem Eigentum gewaltsam herausgeworfen und aller Rechte beraubt [...] Durch Gerichtsbeschluß musste man dem Unterzeichneten etliches Werkzeug aushändigen, womit er in dem Hause Sitzingerstr. 5 in Worms ein eigenes Geschäft mit der Herstellung von Möbeln betrieb.“4

Außerdem enterbte man ihn und kündigte ihn aus dem Geschäftsverhältnis mit der örtlichen Bank.5 Nachbarn bezeugten diese Behandlung. Im Juni 1957 beschrieb Jakob Krämer selbst die Umstände wie folgt: „Es ist mir auch klar geworden, [...] dass auch die Ratenzahlungen aus einem 1933 gewonnenen Prozess [...] durch die Verhaftung verloren gegangen ist. Es handelte sich damals um eine Klage gegen meinen NS-Bruder und NS-Mutter wegen Kreditschädigung u. übler Nachrede. 3 Tage vor dem Termin am 15. April wurden mir 1000 Mark als Entschädigung vereinbart, zahlbar in Raten zu je RM 50 ab August 1933. Davon bekam ich 4mal 50 RM. Dann hat meine Mutter gesagt, der Führer hätte angeordnet, solchen Elementen wie mir brauchte sie nicht mehr zu zahlen. Ich war auch machtlos, weil ich schon selbst um meine Existenz bangte.“6 Dies führte dazu, dass er gemäß Melderegister innerhalb eines halben Jahres viermal seinen Wohnsitz wechseln musste.7

Am 14. Dezember 1934 wurde Jakob Krämer erstmals verhaftet. Über das Ergebnis einer Hausdurchsuchung gab man zu Protokoll: „Es wurden dabei 3 Exemplare der verbotenen Druckschrift ,Das goldene Zeitalter’ mit dem Datum 1.6.1934, 15.6.1934 und 15.12.1934 sowie eine Kartei, die zweifellos die Abonnenten der Zeitschrift enthält, gefunden.“8 Eine Aufstellung der beschlagnahmten Gegenstände, die Jakob Krämer nach der NS-Zeit anfertigte, belegt, dass ihm in diesem Zuge auch in der Schreinerei gefertigte Möbel, zwei Kartons Bibeln und persönliche Kleidung (z. B. Wintermantel, Anzug, Schuhe, Unterwäsche) sowie ein Akkordeon mit 80 Bässen weggenommen wurden.9 Über das Geschäft heißt es in einer Eidesstattlichen Erklärung: „Dies wurde durch seine Verhaftung am 4. Dezember 1934 durch die Gestapo geschlossen und die fertigen Möbel und sonstigen Habseligkeiten beschlagnahmt.“10 Am 18. Dezember 1934 erhob man gegen ihn schließlich Anzeige bzw. Anklage beim Sondergericht Darmstadt.11

Ein Brief, den Jakob Krämer am 13. Januar 1935 aus dem Gefängnis Worms an Mitgläubige schrieb, ist sehr bewegend.12 Darin bedankt er sich für die Fürsorge, die die Zeugen Jehovas, die noch in Freiheit waren, für die bereits Inhaftierten leisteten. Tatsächlich wunderten sich die Gefängniswärter darüber, dass die inhaftierten Bibelforscher so viele „Geschenke und Paketchen erhalten“. Auch ein Hinweis auf die schlechte Behandlung findet sich in dem Brief, außerdem einige Bibelstellen, die sowohl ihn selbst als auch die Empfänger des Briefes stärken und trösten sollten. Doch das war zu viel für die Zensur – der Brief wurde beschlagnahmt. In der Begründung wird der Satz beanstandet: „Da hörte ich eben das Glockengeklimper. So feierlich sich das anhört, es ist doch alles nur Heuchelei.“ Eine solche „Herabsetzung der christlichen Kirchen“ habe zu unterbleiben. „Außerdem dürfen künftig in allen Schreiben die Bücher der Bibel nicht mehr angegeben werden, aus denen die von ihm angeführten Stellen stammen, da es aus Zeitmangel nicht möglich ist, jedes mal [sic] die Richtigkeit nachzuprüfen.“13

Am 11. Februar 1935 fand vor dem Sondergericht Darmstadt der Prozess gegen Jakob Krämer und sieben Mitangeklagte statt. Jakob Krämer wurde zu zwei Monaten Haft unter Anrechnung der 8-wöchigen Untersuchungshaft verurteilt.14 Am 14. Februar 1935 kam er wieder frei15 – allerdings nicht lange. Seine Hafterfahrungen hatten ihn darin bestärkt, zu seiner religiösen Überzeugung zu stehen. Daher war es für ihn selbstverständlich, trotz Verbots das jährliche Gedenken an den Tod Jesu (Abendmahl) am 17. April 1935 gemeinsam mit anderen Zeugen Jehovas zu feiern. Schon Tage zuvor hatte er sich mit Hans Amendt aus Worms in dessen Wohnung verabredet, um die Feier zu begehen.16

Das Datum der Feier war der Gestapo bekannt. Daher war reichsweit ein Erlass an die Polizeibehörden ergangen, nach 18 Uhr alle bekannten Bibelforscher aufzusuchen bzw. Hausdurchsuchungen bei ihnen durchzuführen. Auch Hans Amendt bekam Besuch. Dort wurden drei Zeugen Jehovas bei der Abendmahlfeier angetroffen, unter ihnen Jakob Krämer. Bei seiner Vernehmung sagte er aus, er sei in die Wohnung von Hans Amendt gegangen, da dieser ihm vorher mitgeteilt hatte, er würde dort das Abendmahl feiern.17

Obwohl Jakob Krämer zu dieser Zeit bereits verhaftet war, findet sich in seiner Akte die Meldung über ein Vorkommnis in Worms am 22. April 1935.18 Um 10.30 Uhr meldete der Gerichtsreferendar Dr. Seib, dass in der Strahlenbergstraße ein junger Mann Flugzettel für die Ernsten Bibelforscher verteilte. Zwei Polizisten „fuhren [...] in die Strahlenbergstraße, konnten aber dort selbst niemand mehr antreffen“. Ein Flugzettel lag der Meldung bei.

Während Jakob Krämer in Schutzhaft auf seinen Prozess wartete, fiel er im Gefängnis Worms erneut „unangenehm“ auf: Er las laut aus dem Buch „Augustinus und seine Bedeutung für die Gegenwart“ vor, „damit seine beiden gleichzeitig in Schutzhaft befindlichen Glaubensgenossen, Amendt und Kühn, die in anderen Zellen untergebracht sind, mithören konnten. Der Inhalt dieses Buches deckt sich mit den Anschauungen der Zeugen Jehovas“. Man nahm ihm das Buch ab und machte „Meldung [über] das Verhalten des in Schutzhaft befindlichen Schreiners Jakob Krämer“.19

Weil sie das Abendmahl gefeiert hatten, wurde am 7. Juni 1935 Anzeige gegen die drei inhaftierten Zeugen Jehovas Krämer, Amendt und Kühn erstattet. Die Anzeige schließt wie folgt: „Bemerkt wird, dass die Veranzeigten erklärt haben, dass ihnen das Verbot ihrer Organisation bekannt gewesen sei, dass aber Menschen ihnen nichts verbieten könnten und dass sie nur ihrem Gott Jehova gehorchen würden.“20 Die Vernehmung zu den Anschuldigungen erfolgte dann am 12. Juni 1935 vor dem Amtsgericht in Dachau. Die drei Beschuldigten wurden aus dem Konzentrationslager Dachau vorgeführt (dorthin hatte man sie offenbar zur Strafe und Einschüchterung verlegt, nachdem Jakob Krämer im Wormser Gefängnis aus dem Buch „Augustinus und seine Bedeutung für die Gegenwart“ vorgelesen hatte).21 Man warf ihnen vor, Propaganda für die Bibelforscher betrieben zu haben, indem sie religiöse Handzettel verteilt und „ihren organisatorischen Zusammenhalt aufrecht erhalten“ hatten, „indem sie auf öffentlichen Straßen Flugzettel verteilt und bei jeder Gelegenheit auch mündlich für ihre Lehre Propaganda“ betrieben hatten.22 Im Ermittlungsergebnis wurden sie als Fanatiker bezeichnet, die erklärten, „nur Jehova und nicht den Menschen zu gehorchen“. Es folgte ein Antrag über die Verhandlung des Falls vor dem Sondergericht Darmstadt und eine entsprechende Anklageschrift.23 Während des Prozesses am 2. Juli 1935 ergingen harte Strafen gegen die mittlerweile vier Angeklagten. Jakob Krämer als „Anführer“ wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.24 Er selbst berichtete 1945 über diese Zeit: „[Ich] wurde am 17.4.35 verhaftet und kam direkt in das KZ-Lager Dachau, ohne jegl. vorherige Verhandlung. Am 2.7.35 wurde ich von Dachau nach Worms vor das AG [Amtsgericht] Worms transportiert, wo man mir den Prozess eröffnete wegen Weiterführung unserer verbotenen Organisation. Das Urteil lautete auf 2 Jahre Gefängnis.“25 Am 3. Mai 1948 gab Jakob Krämer bei einer Vorladung vor der Betreuungsstelle Frankfurt an: „Zum 2. Male wurde ich anlässlich der Abendmahl-Feier verurteilt. Zuerst kamen wir, das waren Heinz Amendt, Julius Kühn [und ich], nach Dachau. Dort wurden wir schwer misshandelt von der SS. Nach 4 Wochen wurden wir weggeholt und kamen nach Worms zur Gerichtsverhandlung. Dort wurden Heinz Amendt und ich zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt.“26

Was in dieser Zeit mit seinem Geschäft geschah, beschrieb Jakob Krämer in einem Brief an den Regierungspräsidenten in Wiesbaden: „Meine in meiner Werkstatt stehenden Möbel, die inzwischen von meinem Gehilfen fertiggestellt worden waren, verfielen der Beschlagnahme. Wenige Tage nach meiner Verurteilung bzw. Inhaftierung musste die Werkstätte geräumt werden, und alle meine Einrichtung samt den Werkzeugen wurden fortgeschafft samt meiner Wohnungseinrichtung. Als ich am 2. Juli 1937 wieder aus dem Gefängnis heimkam, fand ich nichts mehr von all den Dingen vor.“27 In einem Brief an das Amt für Wiedergutmachung schrieb er 1957: „Sind nicht durch die Maßnahmen der N[ational] S[ozialisten] alle diese meine Existenz, meine Habseligkeiten, meine Betriebseinrichtung einschließlich meine fertigen Möbel u. halbfertigen sowie Holzvorräte völlig vernichtet worden? Ja, ich war auch nicht in der Lage, mein Bargeld mitzunehmen. Ich habe aber noch gesehen, wie die Gestaposchergen einen Teil meiner Sachen auf ein Auto luden, und dann kam ich erst nach 2 ½ Jahren wieder.“28

Den größten Teil seiner zweijährigen Haftstrafe verbrachte Jakob Krämer in Papenburg bzw. in den Emslandlagern. Mit Zwischenstationen in Butzbach (15.07.1935–13.12.1935) und Freiendiez (13.12.1935–30.03.1936) kam er ins Zentralgefängnis Papenburg. Darauf folgten die Moorlager:
Lager II (Aschendorfermoor): 31.03.1936–02.03.1937
Lager III (Brual-Rhede): 02.03.1937–07.06.1937
Lager V (Neu-Sustrum): 07.06.1937–02.07.1937

Er selbst gab an: „Meine Haftzeit verbrachte ich vom Juli 35 – 2.7.37 im Lager Papenburg Lager Emsland-Moor (Lg. 2, 3, u.5). Hier waren wir schweren Misshandlungen ausgesetzt.“29

Passfoto von Jakob Krämer aus dem Verfolgtenausweis, den er nach der Befreiung 1945 erhielt.

Foto: Privatbesitz

Jakob Krämer (2. v. r.) mit Kollegen der Möbelschreinerei Müller.

Foto: Privatbesitz

Jakob Krämer in seiner Schreinerwerkstatt in Worms.

Foto: Privatbesitz

Der junge Jakob Krämer (links) vor seinem Elternhaus in der Dreihornmühlgasse 4 in Worms.

Foto: Privatbesitz

Nach der Entlassung aus den Moorlagern kehrte Jakob Krämer in die Heimat zurück. Darüber schrieb er: „Nach einer kurzen Zeit, die [ich] bei meiner Mutter verbrachte, bekam ich Arbeit in einer Tischlerei in Worms.“30 „Ich stand andauernd unter strenger Beobachtung.“31 Ab dem 14. Dezember 1938 war er bei „Müller“ gemeldet.32 Über die Beschäftigung von Dezember 1938 bis August 1940 bei der Firma E. u. O. Müller in Worms, Friedrichstraße, stellte ihm die AOK Worms eine Bescheinigung aus.33 Auf einem Foto ist Jakob Krämer in der Möbelwerkstatt zusammen mit Kollegen zu sehen. Jakob Krämer erinnert sich: „[Ich] stand andauernd unter strenger Beobachtung und wurde am 28. August 1940 wiederum von der Gestapo Worms verhaftet, weil ich meinem Gestellungsbefehl zum Militär keine Folge leistete. Kam deshalb sofort in das KZ Lager Dachau.“34 Während der Vorladung im Mai 1948 berichtete er über seine Verhaftung: „Ich wurde wegen Verweigerung des Gestellungsbefehls abermals verhaftet. Auf dem Weg nach dem KZ Dachau musste ich schwere Misshandlungen erdulden. Man wollte mich unbedingt zum Wehrdienst zwingen.“35

Im KZ Dachau wurde Jakob Krämer am 15. November 1940 als Zugang registriert. Seine Häftlingsnummer war 21569. Als Bibelforscher wurde er mit dem lila Winkel gekennzeichnet. In der Häftlingskartei ist auch vermerkt, dass er sich zum zweiten Mal im KZ Dachau befand.36

Am 23. Januar 1941 wurde Jakob Krämer zusammen mit 483 anderen Häftlingen in das Konzentrationslager Neuengamme transportiert.37 Auf der Transportliste werden 30 Bibelforscher genannt mit Hinweis auf einen Zeugen Jehovas, der zum zweiten Mal im KZ Dachau war – das könnte Jakob Krämer gewesen sein (Nr. 181 auf der Transportliste).

In Neuengamme war Jakob Krämer schweren Misshandlungen ausgesetzt, die bleibenden Schaden anrichteten: „Ich, Jakob Krämer, war vom Aug. des Jahres 1940 an im Konz.-Lager. Im Januar des Jahres 1941 wurde ich mit anderen Häftlingen in die Gegend des Leuchtturms Darß a. d. Ostsee gebracht. In Wiek war das Quartier. Jeden Morgen bei Dunkelheit wurden wir zum Rohrschneiden auf die zugefrorenen Seen und Teiche gebracht. Durch das Herumtrampeln v. 40 Mann barst die Eisdecke nach kurzer Zeit und wir standen den ganzen Tag bei 15° Kälte bis an u. über die Knie im Wasser. Wer nicht gleich ging, wurde geschlagen und getreten. Viele Mithäftlinge sind dabei umgekommen. Ich bekam ein böses Bein mit 5 tiefen Wunden und eine Bronchitis, die sich heute noch an Tagen bis zur Tonlosigkeit d. Stimme steigert.“38

Später wurde in einem amtsärztlichen Gutachten festgestellt, dass die Narben „Folgen schwerer Misshandlung am linken Bein mit Ausfallserscheinungen“ sind.39 Wegen dieser Haftfolgen erhielt er bereits im Mai 1946 eine Bescheinigung zur Vorlage bei der Reichsbahn: „Herr Jak. Krämer [...] brachte aus dem K.Z.-Lager ein Beinleiden mit, das er sich durch die erlittenen Misshandlungen zugezogen hat. Herr Krämer ist daher genötigt, im Zug sein Fahrrad mitzunehmen“.40 So brauchte er keine weiten Wege zu Fuß zurückzulegen. Auch später bewältigte er fast alle Wege mit dem Fahrrad, wie sich sein Sohn erinnert.

Im März 1943 wurde Jakob Krämer ins Männerlager Ravensbrück gebracht – lt. Nummernbuch als Häftling „3390, Bifo, Krämer Jakob, 9.11.1905, entl. 31. Dez. 1943“.41 Die „Entlassung“ bedeutete die Verlegung auf das Gut Hartzwalde,42 einem Anwesen von Dr. Kersten, Himmlers Leibarzt. Dr. Kersten sorgte dafür, dass es den Gefangenen, gemessen an den vorangegangenen schweren Misshandlungen, relativ gut ging, und er schätzte die Arbeit der Bibelforscher. Auf dem Gut Hartzwalde arbeitete Jakob Krämer nach Aussagen eines ehemaligen Mitgefangenen in der Holzwerkstatt. Außerdem eignete er sich Kenntnisse in der Feinmechanik an, z. B. reparierte er Uhren. Das dafür benötigte Werkzeug brachte ihm Dr. Kersten aus Schweden mit. Fünf Teile (4 Zangen und 1 kleiner Hammer) existieren noch heute. In einer Zange ist deutlich die Prägung Sweden zu erkennen. Auch einen Fotoapparat besaß Jakob Krämer auf Gut Hartzwalde, wie sich ein ehemaliger Mitgefangener erinnert. Das mag erklären, warum einige Gruppenfotos von ehemaligen Häftlingen und anderen auf diesem Gut existieren.

Jakob Krämer (stehende Personen sechster von links) auf Gut Hartzwalde mit Mithäftlingen.

Foto: Privatbesitz

Den Häftlingen war es erlaubt, Briefe in die Heimat oder an Freunde zu schicken. Sie wurden offenbar nicht mehr so streng oder überhaupt nicht zensiert. Ein Brief, den Jakob Krämer an Freunde in Frankfurt schrieb, lässt erahnen, dass den Häftlingen noch eine gefährliche Zeit bevorstand: „Sollten wir Kriegsgebiet werden, so müssen wir auch weg. Der Platz ist schon festgelegt mitten im Wald. Auch Mina hat schon gepackt u. ist schon für d. Luft fertig. Was wir wohl alles noch hier erleben müssen – vertrauen wir mit ganzem Herzen auf Jeh[ova] u. verlassen wir uns nicht auf unseren Verstand.“43 Die Gefangenen wurden am 2. Mai 1945 durch die Alliierten befreit.44 Nach Kriegsende stießen noch viele weitere Zeugen Jehovas zu den Befreiten in Hartzwalde. Sie hatten einen Todesmarsch überlebt. Viele von ihnen blieben noch einige Zeit auf dem Gut, kehrten dann aber nach Hause zurück. Jakob Krämer war ab 28. September 1945 wieder in Worms gemeldet – mit der Bemerkung „Zuzug von KZ-Lager Ravensbrück“.45 Am 17. Oktober 1946 zog er nach Frankfurt am Main in die Berger Straße 109. Am 5. Mai 1947 heiratete er Gertrud Eichler, die ebenfalls jahrelang in verschiedenen Konzentrationslagern gewesen war. Er eröffnete im Frankfurter Gallusviertel ein Uhrmachergeschäft, in dem er noch viele Jahre lang die Werkzeuge aus dem KZ gebrauchte. 1948 beantragte die Betreuungsstelle für Verfolgte in Frankfurt beim Vorstand der Innung des Uhrmacherhandwerks: „Wir bitten Sie, ihm die Gelegenheit zu geben, seine Gesellenprüfung für das Uhrmacherhandwerk ablegen zu lassen. Herr K. hat 8 Jahre im Zuchthaus und KZ.-Lager verbracht und dort als Uhrmacher gearbeitet. Bisher hatte er noch keine Gelegenheit, eine Prüfung abzulegen, da er seit 1945 in verschiedenen Geschäften seine Kenntnisse ergänzt hat.“46

1950 wurde das einzige Kind von Jakob und Gertrud Krämer geboren. Jakob Krämer engagierte sich auch in Freiheit weiter für seine religiöse Überzeugung. So kannten ihn viele Bewohner Frankfurts, besonders im Gallusviertel, nicht nur als Uhrmacher, sondern auch als missionsaktiven Zeugen Jehovas. Er starb 1959 im Alter von 54 Jahren nach schwerer Krankheit, wahrscheinlich ebenfalls eine Haftfolge.47 Wenn man heute alteingesessene Frankfurter nach Jakob Krämer fragt, ist das erste, was man zu hören bekommt: Er war ein sehr gutmütiger, eifriger Zeuge Jehovas, der trotz aller Verfolgung fast immer ein Lachen im Gesicht hatte.


1 Vgl. Gewerbetagebuch Worms-Hochheim, Stadtarchiv Worms [StAW].

2 Vgl. erstes Vernehmungsprotokoll, 15.12.1934 (Hessisches Staatsarchiv Darmstadt [HStADA], Abt. G 26, Nr. 401).

3 Vgl. Antrag auf Wiedergutmachung, Bogen E (Institut für Stadtgeschichte Frankfurt [IfS], Sign.-Nr. 3.552).

4 Eidesstattliche Erklärung, 14.08.1950 (Archiv Studienkreis Deutscher Widerstand Frankfurt [ASDWF], Nr. 462).

5 Vgl. Antrag auf Wiedergutmachung (Anm. 3).

6 Brief an das Amt für Wiedergutmachung in Wiesbaden, 16.06.1957 (ASDWF, Nr. 462).

7 Vgl. Melderegister Worms (StAW).

8 Erstes Vernehmungsprotokoll (Anm. 2).

9 Vgl. Aufstellung der verloren gegangenen Wertgegenstände (ASDWF, Nr. 462).

10 Eidesstattliche Erklärung (Anm. 4), Schreibfehler im Datum, muss 14.12.1934 heißen

11 Vgl. Anzeige vom 18.12.1934 sowie Anklage vor dem Sondergericht, 10.01.1935 (HStADA, Abt. G 26 Nr.      401).

12 Vgl. Haftbrief aus Gefängnis Worms, 13.01.1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr.401).

13 Anlage zum beschlagnahmten Brief vom 23.01.1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401).

14 Vgl. Urteil Sondergericht Darmstadt, 11.02.1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401). Die 1. Strafkammer Mainz hob das Urteil am 25. August 1949 auf (Nachricht über Begnadigung, 31.08.1949 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401).

15 Vgl. Strafverbüßungsbescheinigung, 14.02.1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401).

16 Vgl. Vernehmungsprotokoll der Staatspolizei, April 1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401).

17 Vgl. ebd.

18 Vgl. Meldung über Verteilung von Flugzetteln, 22.04.1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401).

19 Meldung Verhalten des Jakob Krämer im Gefängnis, 23.04.1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401).

20 Anzeige, 07.06.1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401).

21 Vgl. Beschuldigtenvernehmung vor dem Amtsgericht Dachau, 12.06.1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401).

22 Ebd. Der Haftbefehl (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401) enthielt dieselbe Begründung.

23 Vgl. Anklageschrift vor dem Sondergericht Darmstadt, 17.06.1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401).

24 Vgl. Protokoll, 08.08.1935 (HStADA, Abt. G 26, Nr. 401).

25 Eidesstattliche Erklärung für die städtische Betreuungsstelle für Verfolgte in Worms, 13.09.1945 (IfS Frankfurt, Sign. Nr. 3.552).

26 Vgl. Vorladungsprotokoll, 03.05.1948 (IfS Frankfurt, Sign. Nr. 3.552).

27 Brief an den Regierungspräsidenten in Wiesbaden, 14.09.1953 (ASDWF, Nr. 462).

28 Brief an das Amt für Wiedergutmachung (Anm. 6).

29 Vorladungsprotokoll (Anm. 26).

30 Brief an Regierungspräsidenten (Anm. 27).

31 Eidesstattliche Erklärung (Anm. 25).

32 Melderegister Worms (StAW).

33 Vgl. Versicherungsbescheinigung der AOK, 08.10.1958 (ASDWF, Nr. 462).

34 Vgl. Eidesstattliche Erklärung (Anm. 25).

35 Vorladungsprotokoll (Anm. 26).

36 Vgl. Auskunft KZ Gedenkstätte Dachau, 03.09.1997.

37 Vgl. Auskunft der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, 22.09.1997, „Transportzettel“.

38 Eidesstattliche Erklärung, 06.09.1951 (ASDWF, Nr. 462).

39 Amtsärztliches Gutachten, 04.05.1951 (IfS Frankfurt, Sign. Nr. 3.552).

40 Bescheinigung der Betreuungsstelle Worms, 14.05.1946 (IfS Frankfurt, Sign. Nr. 3.552).

41 Auskunft KZ-Gedenkstätte Ravensbrück, 09.09.1997.

42 Vgl. Vorladungsprotokoll (Anm. 26).

43 Brief von Jakob Krämer aus Hartzwalde, 04.02.1945.

44 Eidesstattliche Erklärung (Anm. 25).

45 Melderegister Worms (StAW).

46 Antrag an die Uhrmacherinnung, 05.02.1948 (IfS Frankfurt, Sign. Nr. 3.552).

47 Vgl. ärztliche Bescheinigung, 30.05.1969 (ASDWF, Nr. 462).