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Kapitel 5

Repressionen in der Haft

Gleich nach ihrer Verhaftung wurden Zeugen Jehovas schwer misshandelt.
Verhöre unter Folterungen waren an der Tagesordnung.

Im Frühsommer 1937 wurde ein Bericht über Frankfurt in die Schweiz gesandt, in dem es hieß: „Ehefrauen von Zeugen Jehovas in Frankfurt am Main erklären, dass auch in dieser Stadt furchtbare Verfolgungen gegenüber den Zeugen Jehovas eingesetzt haben. Als einige von ihnen ihre Männer nach drei bis vier Wochen Haft im Gefängnis besuchten, waren sie ganz entsetzt über das entstellte, kaum wiederzuerkennende Aussehen ihrer Männer, woraus hervorgehe, dass diese auf das schrecklichste misshandelt und geschlagen worden sind.“ (Kreuzzug gegen das Christentum, Zürich 1938 S. 123)

Auch in den Konzentrationslagern mussten die Frankfurter Zeugen Jehovas unbeschreibliche Härten erdulden, über die sie später erzählt haben.

Es folgen einige Auszüge aus ihren Berichten.

Ehemaliges Polizei-Gefängnis „Klapperfeld“

Foto: privat

Im ehemaligen Gefängnis „Klapperfeld“. Einige Zellen sind noch original erhalten.

FOTO: privat

Gedenkstätte Buchenwald

Fotos: privat

Adolf Krämer über das KZ Buchenwald:

„Es standen damals 4 Häftl[ings-]Baracken im Lager selbst, und außerhalb 2 Baracken, 400 Meter entfernt zur Unterkunft der Kommandanten […] Die ersten Monate waren die schlimmsten meines Lagerlebens, nicht nur die lange Arbeitszeit, das wenige Essen, sondern die Schikanen der SS, besonders die vielen Befragungen auf der politischen Abteilung auf der Arbeitsstelle.“ Aufgestanden wurde zwischen 3.00 und 3.15. Uhr. Danach standen Bettenbau, Frühappell und Ausrücken der Arbeitskommandos auf dem Programm, da von 6.00 bis 20.00 Uhr die Arbeit verrichtet werden musste. Danach erst durfte das spärliche Abendbrot eingenommen werden.

Immer wieder wurden alle Häftlinge, die Zeugen Jehovas waren, zu Extra-Appellen gerufen. Sie wurden aufgefordert, sich für die Wehrmacht zu melden. Ihre Weigerung machte die SS wütend. Einmal sollten sie alle in den Steinbruch geschickt werden, ein anderes Mal sollten alle erschossen werden, nachdem sie bis zum Zusammenbruch Strafexerzieren mussten.

„Nicht nur von den SS gehasst, sondern auch von den polit. u. anderen Häftlingen als Verbrecher unserer Familien angesehen, – wir könnten so leicht frei sein, würden dies ausschlagen, wir dürften uns bestimmt nicht beklagen, – es dürfte uns ja gar nicht gut gehen.“

Am Anfang waren die Bibelforscher zusammen in den Baracken. Später wurden sie aufgeteilt, meist unter politische Gefangene, sodass sie ständig unter Kontrolle waren. Doch sie gaben nicht auf. Die heimlich ins KZ geschmuggelte Lektüre – den Wachtturm – machten sie sich gegenseitig geschickt zugänglich.

Anna Kanne kam am 15. Mai 1939 mit dem ersten Transport in das neue KZ Ravensbrück:

„Man sagte uns: Wenn ihr 4 Wochen dort seid, dann werdet ihr gerne unterschreiben (dass wir Nat[ional] Soz[ialisten] werden möchten).“ Die etwa 400 Zeuginnen Jehovas sollten durch härteste Behandlungen gezwungen werden, ihren Glauben aufzugeben. 

Über den Tagesablauf schrieb Anna Kanne, dass sie um 4.30 Uhr von einer Sirene geweckt wurden. Danach mussten sie eine Stunde Appell stehen, abends nochmal zwei Stunden. Verspottet und verhöhnt von der Aufsicht und anderen Häftlingen zwang man sie, schwerste Arbeiten zu verrichten, wie Ausschachtungsarbeiten in glühender Hitze, auch sonntags. Dabei gab es fast nichts zu trinken.

Mit schweren Schaufeln musste sinnlos Sand geschippt werden, 1 bis 2 Meter hoch, immer angetrieben von den Aufseherinnen, die Schaufeln voll zu nehmen und schneller zu arbeiten. Beim Einschlafen waren die Nerven so aufgepeitscht, dass sie noch weiter „schippte“, sodass die Schlafdecke hochflog.

Nach Beginn des Krieges wurde der Hass noch größer, „da wir jede Unterstützung des Krieges ablehnten, wir wollten den mörderischen Krieg nicht verlängern helfen“. Sie wurden aufgefordert, Munitionstäschchen zu nähen. Als Reaktion auf ihre einstimmige Ablehnung dieser Kriegsarbeit schrie der Kommandant: „Verfluchte Staatsfeinde, jetzt bleibt nichts weiter übrig als euch verhungern und verfrieren zu lassen.“ Ab dem 19. Dezember 1939 ließ man sie 5 Tage lang je 8 Stunden bei minus 15 bis 20 Grad in dünnen Schuhen und Kleidern Appell stehen. Am 1. Tag gab es gar kein Essen, die weiteren 4 Tage nur mittags eine halbe Ration. Abends mussten sie zu 7 oder 8 Häftlingen in eine kleine Einzelzelle ohne Schuhe, Kissen und Decken. Auf dem blanken Fußboden mussten sie auf engstem Raum schlafen. An den drei folgenden Weihnachtstagen gab es weder Essen noch Trinken und sie blieben in den Arrestzellen eingesperrt. Doch „aus allen Zellen erschallten Lieder zur Ehre des Höchsten.“ Nach Ablauf dieser drei Tage „begann man mit der Arrestverköstigung, mittags ½ Ration u. abends etwas Suppe, dann immer die nächsten 3 Tage nur morgens 200 gr. Brot u. etwas Kaffee“.

Danach kam Heinrich Himmler persönlich, um sie alle zu fragen, ob sie nun bereit wären, die Näharbeiten für das Militär zu machen. Als sie geschlossen ihrer Überzeugung treu blieben, schlug er wutentbrannt die Zellentür zu und ordnete noch einmal verschärften Arrest an. 

Emmy Lehrbach erinnerte sich, dass Himmler in dieser Situation ausrief:

„Wir werden euch das Genick brechen!“

Anna Kanne berichtet weiter: Nach drei Wochen, am 9. Januar 1940, änderte sich die Lage plötzlich. Abends um 21.30 Uhr befahlen die Aufseherinnen, dass alle sofort in ihre Blocks zurückkehren sollten. Da diese drei Wochen im Schlafblock nicht geheizt worden war, glitzerte alles vor Frost und überall hingen Eiszapfen. Die Betten waren eiskalt. Keine der Zeuginnen Jehovas, die aus dem Strafblock zurückgekehrt waren, schliefen auch nur eine Minute. Für die 450 betroffenen Zeuginnen wurde auf Befehl Himmlers 3 Monate „Strafblocksverfügung“ angeordnet. Das bedeutete, dass eine Einkaufs-, Freistunden- und Briefsperre verhängt wurde. Des Weiteren gab es pro Baracke nur 7 bis 10 Briketts zum Heizen. Wer sich frierend dem Ofen näherte, wurde mit Entzug der Bettdecke bestraft. Die mutigen Bibelforscherinnen waren durch die Misshandlungen so abgemagert und ausgemergelt, „dass andere Häftlinge, die sie im Brausebad sahen, weinten“. Egal ob alt oder jung, gesund oder krank, sie alle mussten die nächsten Schikanen ertragen – mit schweren Schaufeln und Pickeln gefrorene Sandberge bearbeiten. Wer krank war, durfte nicht zur Behandlung ins Krankenrevier. Allerdings fürchteten die Häftlinge eine Behandlung dort, denn hier wurde für die „Dunkeltransporte“ selektiert. 

Anna Kanne erinnerte sich später: „Diesen Häftlingen wurde alles abgenommen, nur notdürftigst bekleidet, wurden sie mitgenommen. Was mit diesen 1. Opfern geschah, konnten wir nicht erfahren. Wer nicht mehr arbeiten konnte, krank oder unbeliebt war, wurde herausgeholt.“ 

Die Zeuginnen Jehovas, die in der Kommandantur putzten, fanden im Voraus gedruckte Todesanzeigen an Angehörige, obwohl die Häftlinge noch gesund im Lager umherliefen. Nun ahnten sie, wohin die Transporte gingen.

Das „Denkmal der Grauen Busse“ erinnerte 2017/18 in der Frankfurter Innenstadt an die Transporte

FOTO: privat

Die Zustände wurden immer schwieriger. Tag und Nacht sahen sie die Flammen des Krematoriums. Täglich trafen neue Opfer ein. Es wurde immer enger, denn die Blocks wurden mit zehn Mal so vielen Häftlingen belegt wie geplant. Zu sechst mussten sie in zwei Betten schlafen. 

„Das Ungeziefer vermehrte sich ins Unbeschreibliche, manche fingen an ihrem Körper morgens 40–50 Flöhe. Läuse, Wanzen, Kakerlaken waren Mitbewohner der Baracken.“

Das Essen wurde immer schlechter, Dörrgemüse mit Kartoffelschalen aus der SS-Küche wurde ihre Nahrung. Durch die mangelnde Hygiene breiteten sich Ruhr, Typhus und Durchfall aus.

Alle Verfolgten berichteten von diesen und ähnlichen Misshandlungen in den Konzentrationslagern. Bemerkenswert ist, dass alle Überlebenden ungebrochen in ihrem Glauben nachhause kamen, wenn sie auch körperlich schwer geschädigt waren.