Skip to main content

Kapitel 1

Der Beginn – Jehovas Zeugen in Frankfurt vor 1933

Im August 1910 hielt Otto Koetitz den ersten Vortrag der Bibelforscher – wie Jehovas Zeugen bis 1931 genannt wurden – in Frankfurt. 300 bis 400 Frankfurter Bürger folgten der Einladung. Ein Jahr später erhielt Marie Schättle Schriften der Bibelforscher. Noch im gleichen Jahr bekannte sie sich als erste Bibelforscherin Frankfurts. Sie war zunächst die Einzige, die diesem Glauben angehörte. Erst 1915 konnte sie sich als Bibelforscherin taufen lassen.

Marie Schättle
FOTO: JEHOVAS ZEUGEN, ARCHIV ZENTRALEUROPA

Im Dezember 1914 fanden im Volksbildungsheim am Eschenheimer Tor die ersten Vorführungen des weltweit gezeigten „Photo-Drama der Schöpfung“ (Urfassung) in Frankfurt statt. An sechs Wochentagen besuchten nachmittags und abends jeweils ca. 1 000 Personen die Veranstaltung. Martin Bertram und drei weitere schlossen sich im Juni 1915 den Bibelforschern an. Die Frankfurter Gemeinde bestand damals aus etwa sieben Personen. Alle waren regelmäßig in Frankfurt von Haus zu Haus missionarisch tätig und verbreiteten bibelerklärende Publikationen.

1919 war die Gemeinde auf 25 Bibelforscher angewachsen. In Oberrad, in der Gaststätte „Engel“, wurde erstmals ein öffentlicher Vortrag in einem abgelegenen Ortsteil abgehalten, den etwa 200 Personen hörten. Weitere Bibelforscher, wie z. B. Anna und Albert Engler, kamen hinzu, sodass im Jahr 1920 die Gemeinde schon aus etwa 30 bis 40 Personen bestand.

Im „Zoo-Gesellschaftshaus“ wurde im Februar 1921 ein Vortrag gehalten, der an den Litfaßsäulen angekündigt wurde. Er hatte das Thema: „Das Ende naht, was folgt? – Millionen jetzt Lebender werden niemals sterben!“. Selbst gedruckte Handzettel wurden an den Türen verteilt. Martin Bertram berichtete später darüber: „Eine halbe Stunde vor Beginn strömten schon die Menschen zum Vortrag. Der Saal war brechend voll. Alle Gänge waren verstopft, und viele fanden keinen Einlass mehr ... Wir schätzten mindestens über 3 000 Menschen“. Mehr als 500 von ihnen gaben ihre Adresse an, um von den Bibelforschern besucht zu werden. Der öffentliche Vortrag im „Zoo-Gesellschaftshaus“ motivierte Emmy Lehrbach sich den Bibelforschern anzuschließen.

Joseph F. Rutherford, der damalige Präsident der „Wachtturm-Gesellschaft“, hielt in Frankfurt am 13. Juni 1922 einen öffentlichen Vortrag mit dem Thema „Die Weltbedrängnis – Warum? Das Heilmittel“. Am 28. April 1924 kamen anlässlich eines Bibelkongresses rund 600 Bibelforscher aus Süddeutschland nach Frankfurt.

Die Frankfurter Gemeinde hatte damals noch keinen eigenen Versammlungsraum. Sie musste ihre Zusammenkünfte in angemieteten Sälen durchführen, z.B. im Volksbildungsheim. Als am 26. November 1926 Adolf Krämer als Bibelforscher getauft wurde, gab es in Frankfurt nur eine Versammlungsstätte in der Liederhalle in der Lange Straße. In kleinen Gruppen trafen sie sich außerdem in Wohnungen oder Gaststätten in Griesheim und Höchst. Sie missionierten weiterhin in Frankfurt und dehnten ihre Aktivitäten auch in die Umgebung aus, sogar bis nach Oberhessen. Als Transportmittel diente ein LKW, auf dessen Ladefläche Bänke gestellt wurden.

Kolportageausflug, 1932

FOTO: JEHOVAS ZEUGEN, ARCHIV ZENTRALEUROPA

Im September 1930 wurden wiederholt Vorführungen des „Schöpfungsdramas“ im Hippodrom durchgeführt. Ludwig Eichhorn, der kurz zuvor am 31. August 1930 getauft wurde, besuchte sie sogar zweimal. Er berichtete später, dass die Halle polizeilich gesperrt werden musste, weil sie „den Andrang der Besucher nicht aufnehmen konnte“. Das Jahr 1931 war ein Meilenstein für die Bibelforscher, auch für die Frankfurter Gemeinde. Bei einer feierlichen Zusammenkunft im Alten Gewerkschaftshaus an der Ecke Allerheiligen-/Stoltzestraße nahmen sie den Namen „Jehovas Zeugen“ an.

Hippodrom, ca. 1930

Foto: Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt a.M.

Ebenfalls 1931 mietete die Gemeinde erstmals einen eigenen Versammlungsraum im Zentrum der Stadt Frankfurt an. Gemäß dem Adressbuch von 1932 befand er sich in der in der ersten Etage der „Vilbeler Str. 4,6“. Die Gemeindeglieder richteten die Anbetungsstätte gemeinsam her, und bald fanden hier jede Woche Gottesdienste sowohl für Erwachsene als auch für Kinder statt.

Gemeindezentrum Vilbeler Straße 4

Foto: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, S7A Nr. 1998-10035, Georg Rothgeb

Dieses neue Gemeindezentrum war sonntags auch Treffpunkt für gemeinsame ganztägige Predigtfahrten zum Vogelsberg, in den Spessart, den Odenwald, den Taunus und an den Rhein. Als Transportmittel benutzten sie nun das sogenannte „Wasserauto“, einen Lastwagen, der unter der Woche zum Ausliefern von Mineralwasser genutzt wurde und für den sonntäglichen Missionsdienst mit Sitzbänken versehen werden konnte.

Luna LKW, „das Wasserauto“

Foto: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Auch im Jahr 1932 führten Jehovas Zeugen wieder das „Schöpfungsdrama“ unentgeltlich im Hippodrom vor, angekündigt durch Plakate und Handzettelaktionen in der Stadt. Seit diesem Jahr gab es neben der Gemeinde in der Innenstadt zwei eigenständige Gruppen in Griesheim und Höchst. Als die Nationalsozialisten 1933 Jehovas Zeugen verboten, gab es etwa 150 aktive Gläubige in Frankfurt. 2 200 bis 2 500 Frankfurter Bürger, die an der Bibel interessiert waren, wurden von der Gemeinde regelmäßig betreut. Sie hatten ein Abonnement auf die Zeitschrift Das Goldene Zeitalter von Jehovas Zeugen abgeschlossen.